Heute unterhielt ich mich über das Thema Macht und Ohnmacht in Beziehungen. Und dabei fiel mir ein, dass wir uns angesichts des Sterbeprozesses häufig auch sehr ohnmächtig fühlen.
Der Prozess des Sterbens findet auf einer Ebene statt, auf die wir nicht oder ganz wenig einwirken können. Auch die Schulmedizin ist ab einem gewissen Punkt des körperlichen Zerfalls macht- und hilflos.
Wie gerne würden wir etwas tun, um den Tod doch noch abzuwenden, dem Leben noch ein paar Tage, Wochen oder Monate abzuringen. Ist die Grenze der Machbarkeit überschritten, kommt nur noch die palliative Medizin zum Zug – dem Patienten wird das Sterben so angenehm und schmerzfrei wie möglich gemacht, aber es gibt in dem Prozess aus schulmedizinischer Sicht kein Zurück, der Patient ist austherapiert, alles nur noch eine Frage der Zeit, bis das Leben aufhört.
Und wer bis dato auf rettende Maßnahmen und aktive Unterstützung gesetzt hatte, wer überhaupt im Leben lieber das Steuer aktiv in die Hand nahm und für jede unliebsame Situation gleich eine Lösung parat hatte, der sieht sich jetzt konfrontiert mit dem Annehmen, Aushalten, Sich-Hingeben in die Situation. Gegen etwas so Unabänderliches wie den Tod können wir nicht auf Dauer gegen an kämpfen. Hier wären andere Strategien hilfreich.
Es ist vielleicht das Schwerste überhaupt, einen geliebten Menschen sterben zu sehen und ihn in unserem herkömmlichen Sinne nicht helfen zu können. Wir wissen in unserer modernen Gesellschaft nicht mehr so richtig, dass Beistand auch darin bestehen kann, nur da zu sein, bei dem Sterbenden zu stehen und sonst nichts.
Wir fühlen uns ohnmächtig, wenn wir nichts tun können. Selbst einen Schluck Wasser reichen zu können oder die Hand des Sterbenden zu halten, ist schon ein Segen, da man da noch eine Kleinigkeit „tun“ kann.
Und doch können wir im Angesicht des Todes etwas anderes tun, nämlich lernen zu fühlen, spüren, in einen inneren Dialog gehen und seinen inneren instinktiven Regungen wieder mehr vertrauen. Wenn wir bei dem Sterbenden sitzen, steht irgendwann die Zeit still, wir werden ruhiger und bewusster. Wir erhalten Impulse aus unserem Inneren, merken vielleicht, wie kühl es im Zimmer ist und dass es vielleicht an der Zeit ist, das Fenster zu schließen. Oder wir bekommen den Impuls, eine Geschichte aus der Vergangenheit zu erzählen.
Indem wir unsere Ohnmacht akzeptieren und annehmen, dass wir auf die übliche Art und Weise nichts tun können, kommen wir auf neue Ideen. Wir erobern neues Terrain, in dem wir uns ausprobieren. Wir haben plötzlich Zeit, uns für uns selbst mit dem Thema Tod zu beschäftigen, und vielleicht auch einmal über vergangene Verluste zu trauern, an die wir uns nun wieder erinnern.
So wird aus einer Situation, die wir zunächst als ohnmächtig erleben, eine Situation, in der uns neue Handlungsweisen erwachsen, wenn wir diese Hilflosigkeit zunächst einmal nur aushalten und hinnehmen,. Aus Ohnmacht wird, wenn sie nicht als Feind, sondern als Freund gesehen werden kann, eine neue Befähigung, wir erweitern unseren Spielraum, werden „mächtiger“. So wird aus Ohnmacht Ermächtigung unsrer Selbst.